Tagebuchnotizen aus Kleppers letztem Weihnachtsfest 1941 23. Dezember 1941 / Dienstag Ich holte die Blumen fürs Fest, was nicht ohne Mühe war. Ich gab dem Hause seinen weihnachtlichen Tannenschmuck, brachte in den Mansarden die bunten Zweige der Mädchen an, schmückte dem Kind das Zimmer, putzte den Weihnachtsbaum in seiner ganzen rotgoldenen Pracht, steckte – auch in diesem Jahr des Mangels ist es gelungen – die Kerzen zum morgigen Lichterfest auf – alles in dem namenlos seligen und bangen, bangen Gefühl, dass dies alles noch einmal für unser Kind geschehen darf. Es ist nochmals so unsagbar schön in allem namenlos Schweren. 24. Dezember / Mittwoch, Heiliger Abend Tiefe Dunkelheit, als wir aufstanden. Und der Morgen – wie wahr ist dieses Wort – graute nur, um immer mehr sich umdunkelnden Stunden zu weichen. Sturm und Regen und wogende Tannenkronen, Kieferwipfel, eine stetig wachsende Verhüllung hin zu der Heiligen Nacht, die ja nicht die fröhliche und glückliche, sondern eben die Heilige heisst und den furchtbarsten Ernst zu bergen vermag..... Wir gingen alle vier zur Kirche, zur zweiten Christmette, um sechs, weil wir es ja lieben, dass die große Feier wirklich auf den Abend des Heiligen Abends fällt. Als die Glocken läuteten, saßen wir schon in der Kirche, jedoch nicht auf dem gewohnten Platz, sondern dahinter, weil Renerle mit ihrem gelben (Juden)Stern hinter der Säule verborgen sein wollte. Dann gelang es, so schön wie jedes Jahr den Heiligen Abend zu feiern....Renerles Augen hatten den ganzen Abend wieder den alten Glanz gehabt. Hanni aber kamen vor dem Fest Zweifel an unserem Entschluss zum Tode. Ich aber vermag zu Gott nur zu beten, uns sterben zu lassen, ehe die große, mir unausweichlich scheinende Stunde der äußersten Versuchung kommt, der ich nicht mehr zu widerstehen vermag. 25. Dezember 1941 / Donnerstag, Erster Weihnachtstag Wir, Hanni und ich, waren in der Kirche, einem großen Gottesdienst mit Abendmahl; wir waren auch zum Abendmahl, obwohl mich Angst und Entsetzen noch im Gottesdienst zurückzuhalten drohten, Angst, dass wir nicht zum Abendmahl gehen dürften. Aber noch ist die Hoffnung, dass Gott uns, auch wenn er uns den Menschen übergibt, in der «Stunde der Versuchung» bewahrt vor uns selbst..... Renerle war nicht beim Abendmahl. Man hat noch keine Lösung für die christlichen Sternträger «überlegt». – Welche Worte schafft diese Zeit, wie dies nun zum grausigen „terminus technicus“ gewordene: die «Sternträger». Heute war kein Jude mit dem Stern in der Weihnachtskirche. Das schwere Weihnachten der unterworfenen Völker. Jochen Klepper, Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932 – 1942. Stuttgart 1956. S. 1004f